Jenny and I

 

 I noticed him immediately. Joe's Pub was only moderately crowded that night. The usual pot-bellied retirees, who talked to each other, on all those things better in the past. Old Mrs. Stonewall, about an hour before Joe would drag her back into the cab - occasionally he already glanced at her sitting position. Some oil-smeared mechanics from Bill's workshop next door,  for a quick beer on the way home to a only too well-known marriage nest.

 "Nothing to pick for a lady like you - right, Jenny?" Joe giggled behind the counter, his warm-hearted tone not letting me get angry for a second. And just then he had come in, he took a seat quietly in the far corner, letting all talk in the room die down. Nothing external struck him, but an invisible cloud of grief paralyzed everybody's mood since he sat down. Some guests paid, but Joe carried it off well.

 So good, old Jenny once again lolled off the stool, walked towards him with pliant hips and asked the good old question: "Buy me a drink, mister?

 It took a while for him to look up, but then he affirmed Joe's well-practiced eye with a tiny finger movement. Despite the restlessness that had seized me, I sat next to him and tried to start a conversation. Little by little I learned that he was traveling a great deal in the States for some organization, rarely went home to Frisco, that he was in his early forties, that he had a damned erotic voice, but an old man's will to live.

 My professional interest had long since given way to private curiosity and growing tension, a strange desire for ... unity combined with a profound shudder at the depth and sadness of his eyes. We did not speak a word. He looked at me for a long time. As soon as I briefly touched his leg, he immediately paid for our drinks and followed me upstairs.

 It was indescribable. Afterwards he had pulled out his wallet, and after I wanted to wave in horror ... he had taken a photo. Relieved, I let myself sink back into his shoulder and saw him pointing to the individuals.

 "My name is Adrian," he began softly, "and you can believe me that I have not laughed for the past seven years exactly that day." In fact, he had secretly kept silent, kissed electrifyingly, had grabbed me with animal-like power - but did not even show the approach of a smile.

 "My father-in-law had just taken this photo. Next to me is Lex; he was only two years old, but he still guards the house. Miriam and Sarah were twelve and ten, back then. Miriam is now studying in Florida, and Sarah is just starting to turn heads of the boys in college."

    Behind the two girls were a slightly older, jolly looking woman and a young, enviably pretty, slender woman. All five people sat on bikes. Only very short shadows crouched on the dirt road.

 "Between her mother and me,...", he pointed his finger even more softly at the picture, "... that was her. That was Saskia." He took his bearded face in both hands and was silent for a while. I did not interrupt him.

 "A few minutes after her father shot the picture, a bus slammed on the adjacent street, trying to avoid a group of riders. He just drove right through us. I had barely been able to push the girls into the meadow - brake squeals, the dust of the dirt road enveloped us, I dragged myself back, heard Saskia's mother cry out, fell on Saskia, on her open mouth under her open eyes, tried to breathe for her, to die for her ...".

 When I saw good old Jenny in the mirror above the bed, she cried the first tears since those surgery days, and since she started her new job with Joe.

 Now Adrian started to smile a little: "I think today I let go of Saskia."

 "Not up to now ...?"

 He nodded thoughtfully. "Yes, seven years have been enough."

 "What are you going to do now?" I heard Jenny ask from afar.

 "I'm tired of hotel life. Writing short stories for some TV stations. I bought a little house by the sea, just outside the Canadian border." He had finished getting dressed. I felt like Jenny wanted to be ME again, and still I was not able to say a word.

 "Could need someone to make me a strong coffee, now and then?" My heart leapt for joy and my only suitcase was packed quickly.

 "Take care, Joe!" I said curtly. He nodded thoughtfully, and I felt taken seriously again. Since then, a few years have passed, Adrian has learned to laugh again and we have written the next short stories together.

Jenny und ich

 

 Er war mir sofort aufgefallen. Joe's Kneipe war an jenem Abend nur mäßig besucht. Die üblichen Hängebauch-Rentner, die miteinander bequatschten, was alles früher besser war. Die alte Mrs. Stonewall, etwa eine Stunde, bevor Joe sie wieder ins Taxi schleppen würde - gelegentlich warf er schon erste prüfende Blicke auf ihre Sitzhaltung. Einige ölverschmierte Mechaniker aus Bill's Werkstatt nebenan, auf ein schnelles Bier vor dem Nachhauseweg zum sattsamen Ehenest.

 „Wieder mal nichts zu holen für 'ne Lady wie dich - stimmt's, Jenny?“ kicherte Joe hinter dem Tresen, und sein warmherziger Ton ließ mich ihm nicht eine Sekunde böse werden. Und just in diesem Moment war er reingekommen, hatte sich still in die hinterste Ecke gesetzt und alles Gerede im Raum ersterben lassen. Nichts Äußerliches fiel an ihm auf, aber eine unsichtbare Wolke der Trauer lähmte jedermanns Stimmung, seit er Platz genommen hatte. Einige Gäste zahlten, aber Joe ließ sich nichts anmerken.

 Also räkelte sich die gute, alte Jenny wieder mal vom Hocker, ging mit biegsamen Hüften auf ihn zu und stellte die gute, alte Frage: „Spendieren Sie 'n Drink, Mister?“

 Es dauerte eine Weile, bis er hochsah, dann aber bejahte er mit einer winzigen Fingerbewegung Joe's eingespielten Blick. Ich setzte mich trotz der Unruhe, die mich erfasst hatte, direkt neben ihn und bemühte mich, ein Gespräch in Gang zu bringen. Nach und nach erfuhr ich, dass er für irgend so 'ne Organisation mächtig viel in den Staaten herumreiste, selten nach Frisco heimflog, dass er Anfang Vierzig war, eine verdammt erotische Stimme, aber den Lebenswillen eines Greises besaß.

 Mein berufliches Interesse war längst privater Neugierde und wachsender Spannung gewichen, eine seltsame Lust nach ... Einheit verband sich mit einem abgründigen Schauder vor der Tiefe und Traurigkeit seiner Augen. Wir sprachen kein Wort. Er sah mich lange prüfend an. Als ich wie flüchtig sein Bein gestreift hatte, zahlte er sofort unsere Drinks und folgte mir nach oben.

 Es war unbeschreiblich. Anschließend hatte er die Brieftasche gezückt, und nachdem ich entsetzt abwinken wollte ... ein Foto entnommen. Erleichtert ließ ich mich in seine Schulter zurücksinken und sah ihn auf die einzelnen Personen zeigen.

 „Ich heiße Adrian“, begann er leise, „und du kannst mir glauben, dass ich auf den Tag genau seit sieben Jahren nicht mehr gelacht habe.“ In der Tat: er hatte geheimnisvoll geschwiegen, elektrisierend geküsst, mich mit animalischer Kraft gepackt - aber noch nicht einmal den Ansatz zu einem Lächeln gezeigt.

 „Mein Schwiegervater hatte dieses Foto gerade eben geschossen. Neben mir läuft Lex; er war erst zwei Jahre alt, aber er bewacht noch immer das Haus. Miriam und Sarah waren damals zwölf und zehn. Miriam studiert jetzt in Florida, und Sarah beginnt gerade den Jungs im College die Köpfe zu verdrehen.“

 Hinter den beiden Mädchen waren eine etwas ältere, fröhlich dreinschauende und eine junge, beneidenswert hübsche, schlanke Frau zu erkennen. Alle fünf Personen saßen auf Rädern, auf dem Feldweg duckten sich nur sehr kurze Schatten.

 „Zwischen ihrer Mutter und mir,..." deutete er noch leiser mit dem Finger auf das Bild, "...das war sie. Das war Saskia.“ Er nahm sein bärtiges Gesicht in beide Hände und schwieg eine Weile. Ich unterbrach ihn nicht.

 „Ein paar Minuten, nachdem ihr Vater also das Foto geschossen hatte, kam auf der angrenzenden Straße ein Bus ins Schleudern, hatte einer Reitergruppe ausweichen wollen. Er fuhr einfach mitten durch uns hindurch. Ich hatte gerade noch die Mädchen in die Wiese schubsen können -  Bremsenquietschen, der Staub des Feldweges umhüllte uns, ich schleppte mich zurück, hörte Saskias Mutter aufschreien, fiel auf Saskia, auf ihren geöffneten Mund unter ihren geöffneten Augen, versuchte für sie zu atmen, für sie zu sterben ...“.

 Als ich die gute, alte Jenny im Spiegel über dem Bett sah, weinte sie die ersten Tränen seit der Operation damals und seit sie bei Joe ihre neue Arbeit begonnen hatte.

 Jetzt begann Adrian ein ganz klein wenig zu lächeln: „Ich glaube, heute habe ich Saskia losgelassen.“

 „Bis jetzt nicht ...?“

 Er nickte nachdenklich. „Ja, sieben Jahre waren genug.“

 „Was hast du nun vor?“ , hörte ich Jenny wie von Ferne fragen.

 „Ich habe das Hotelleben satt. Schreibe Kurzgeschichten für einige TV-Stationen. Hab' ein kleines Haus gekauft, am Meer, kurz vor der kanadischen Grenze.“ Er hatte sich inzwischen fertig angezogen. Ich fühlte, wie Jenny wieder ich sein wollte und dennoch kein Wort über die Lippen brachte.

 „Könnte jemand brauchen, der mir ab und zu 'nen starken Kaffee macht.“ Mein Herz hüpfte und mein einziger Koffer war schnell gepackt.

 „Mach's gut, Joe!“ sagte ich knapp. Er nickte nachdenklich, und ich fühlte mich wieder ernst genommen. Seitdem sind ein paar Jahre vergangen, Adrian hat wieder lachen gelernt und die nächsten Kurzgeschichten haben wir zusammen geschrieben.

Hilmar Alquiros

© by Dr. Hilmar Alquiros, The Philippines  Impressum Data Protection Statement / Datenschutzerklärung